Die Geschichte des Relativismus reicht weit zurück. Bereits Galileo Galilei hatte in seinem Streit mit der katholischen Kirche relativistische Argumente aufgeführt, um die Vertreter der Kirche von Kopernicus Entwurf des heliozentrischen Weltbildes zu überzeugen. Beim „Blick über den Tellerrand“ am 16. Oktober gab der Wissenschaftsphilosoph Univ.-Professor Martin Kusch von der Universität Wien eine Einführung in die philosophische Position des Relativismus und dessen Ausprägungen.

Auch heutzutage sind relativistische Argumentationen gerade in politischen Debatten anzutreffen. Als bekanntes Beispiel nannte Martin Kusch das Interview mit einer Pressesprecherin des Weißen Hauses, welche dort den Begriff der „Alternativen Fakten“ ins Leben rief. Auch bei Themen bezüglich Multikulturalismus oder politischen und religiösen Meinungsverschiedenheiten werden oft relativistische Aussagen getroffen. Die Begründung dafür lieferte er mit der Definition des Relativismus.

Wie aus dem Namen ersichtlich wird, werden Urteile oder Überzeugungen in Relation zu einem Standard getroffen, wobei es eine Vielzahl an Standards gibt. „Diese Vielzahl“, erklärte der Philosoph, „ergibt sich zum Beispiel aus kulturellen Verschiedenheiten“.

Relativismus als Rebellion

Bei dem Streit zwischen Galileo Galileo und der katholischen Kirche bezog Galileo als erkenntnistheoretische fundamentale Prinzipien die Beobachtung und die Deduktion ein. Sodass gerechtfertigt ist etwas zu glauben, dass man mit eignen Augen gesehen hat oder eine Folge von etwas ist, das bereits als glaubwürdig gilt. Die Kirche bezog sich zusätzlich noch auf das Prinzip der Offenbarung, dass die Bibel als absolut richtig gilt. Dies verwendete die Kirche gegen Galileo indem sie sagt, dass „wenn die Bibel mir etwas sagt, was Kopernicus widerspricht, dann muss Kopernicus falsch liegen“. Galileos Reaktion bezeichnete Martin Kusch als Rebellion gegen diesen absolutistischen Grundsatz und somit auch gegen den religiösen Glauben.

Philosophische Positionen als Doktrin oder Haltung?

Für den vorausgegangenen Teil des Vortrags, hatte Martin Kusch den Relativismus als Doktrin dargestellt, wobei er diesen Gedanken nun beleuchtete, ob es nicht eher eine Haltung ist. Dabei argumentierte er, dass es manchmal besser sei eine philosophische Position zu verstehen, als einfach einer Doktrin zu folgen. Er ging darauf ein, dass eine philosophische Position Menschen zusammen bringt, die dieselben Wertevorstellungen oder Haltung haben. Auf den Relativismus angewendet, besteht dieser aus der Summe der Werte und Tugenden, woraus Kusch ableitete, dass der Relativismus eher eine Haltung sei, als eine Doktrin.

Zum Referenten und zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«

Martin Kusch (geb. 1959) ist seit 2009 Professor für Wissenschaftsphilosophie und Erkenntnistheorie an der Universität Wien. Seine philosophische und wissenschaftshistorische Ausbildung erhielt er in Finnland. Anschließend arbeitete er in Großbritannien, wo er seit 2002 Professor für Philosophie und Soziologie der Wissenschaften an der Universität Cambridge war. Gegenwärtig ist er Principal Investigator eines ERC Advanced Grant zum Thema des Relativismus.

Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referenten mit verschiedensten Themen. Jeder ist herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei.

Den Text verfasste Olivia Böck vom Fraunhofer ITWM.