Am 22. Januar 2019 sprach Prof. Dr. Christoph von der Malsburg beim ersten Blick über den Tellerrand im neuen Jahr über die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Für den Physiker und Neurobiologen gibt es viele Schätze der Wissenschaft, die noch vergraben sind und die es aufzudecken gilt. Der Bereich der Künstlichen Intelligenz sei eine davon, so Malsburg. »Für KI gibt es eine große Basis an Forschung und viel Aktivität, jedoch fehlt der Masterplan für den nächsten Schritt«, resümiert der Referent.

In seinen Ausführungen gibt von der Malsburg das Beispiel eines dreijährigen Kindes und wozu dieses bereits im Stande sei. Dazu gehöre unter anderem die Umgebungsdarstellung. Damit ist gemeint, dass das Kleinkind eine Szene sieht und einordnet, was diese darstellt und wo sie stattfindet. Es erkenne sogar wie einzelne Elemente zu begreifen sind. Hierzu zeigt der Wissenschaftler dem Publikum ein Bild einer Frühstücksszene. Seine gefolgerte Definition für Bewusstsein: Ein Lebewesen hat Bewusstsein, wenn es seine funktionale Eingliederung in die Umgebung versteht. In der anschließenden Fragerunde erklärt von der Malsburg, dass es nach dieser Definition keine klare Trennlinie gebe, dass nur Menschen Bewusstsein haben, sondern eher, dass die Substanz des Bewusstseins abnimmt. Das erklärt er am Beispiel einer Fliege: Diese kann sich zwar keine Pläne für den morgigen Tag machen, jedoch nimmt sie ihre Umgebung detailliert wahr und setzt rechtzeitig die Füße auf, wenn sie in Richtung Wand fliegt.

Woher kommt die Information in unserem Gehirn?

Das Gehirn hat unzählige Verschaltungen, Verbindungen und ist zu einer Leistung von 10^15 Operationen pro Sekunde fähig. Ein Teil, der im Gehirn angelegten Information, ist bereits genetisch übermittelt, ein anderer Teil wird im frühen Kindesalter gebildet. Das Besondere an der Information im Gehirn ist, dass sie emergent ist – d.h. es gibt für die Vorgänge eine globale Ordnung auf Basis einfacher Regeln. Es sind Wechselwirkungen zwischen den Bauelementen vorhanden, hier die Gehirnzellen, und diese bringen neue Vorgänge hervor. Die Verknüpfungen zwischen den Gehirnzellen sind emergente Netze, was von der Malsburg anhand von Versuchsergebnissen aus Retina-Tektrum-Versuchen erläutert. Die Wahrnehmung des Auges führt er dabei als Modell fort bis zur automatischen Gesichtserkennung und Systeme, die durch Algorithmen bereits identische Gesichter aus unterschiedlichen Perspektiven erkennen.

Als Fazit zeigt von der Malsburg auf, dass bereits vieles in Richtung Künstlicher Intelligenz machbar sei, jedoch müssten Größe, Stromverbrauch und Preis der gegenwärtigen technischen Systeme gut um den Faktor 10.000 verkleinert werden, um sie alltagstauglich zu gestalten. Dennoch sei er guter Dinge, dass dies mit fortlaufender Forschung realisiert werde.

Zum Referent und zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«

Christoph von der Malsburg studierte Physik in Göttingen, München und Heidelberg, promovierte am CERN und wechselte dann in die Neurowissenschaft, zunächst in die neurowissenschaftliche Abteilung des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen. Ab 1988 war er Professor für Informatik, Neurowissenschaft, Physik und Psychologie an der University of Southern California in Los Angeles. Im Jahre 1990 war er einer der Gründer des Instituts für Neuroinformatik an der Ruhr-Universität Bochum und betrieb dieses parallel zu seinem Engagement in Los Angeles bis 2007. Seitdem ist er Senior Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Sein Forschungsinteresse ist die Modellierung von Organisationsprozessen im Gehirn. Für seine Theorien zur Entstehung von geordneten Faserverbindungen im embryonalen Gehirn erhielt er den IEEE Pioneer Award und den Hebb Award der International Neural Network Society. Seine Theorien zur Sehfunktion bildeten die Basis für zwei erfolgreiche Firmen.

Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referenten mit verschiedensten Themen. Jeder ist herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei.

Den Text verfasste Olivia Böck vom Fraunhofer ITWM.