Unter dieser Überschrift referierte Christoph Neuberger im »Blick über den Tellerrand« im Oktober. Entlang an einzelnen demokratischen Werten gab er dem Publikum einen Überblick über aktuelle Themen und Studien rund ums Internet aus seinem Fach der Kommunikationswissenschaften. Wie nutzen wir das Internet und was heißt das? Welche Wirkungen hat es für unsere Gesellschaft?

Referent Christoph Neuberger ist noch Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt »Medienwandel« an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Tellerrand war allerdings sein letzter Vortrag unter dem Logo der bayerischen Uni. Er wechselt diesen Monat zum Weizenbaum-Institut in Berlin, das sich mit der »Forschung für die vernetzte Gesellschaft« beschäftigt. Passend dazu auch der rote Faden seiner Präsentation: Wie verändert das Internet die Gesellschaft und welche Folgen hat das Medium für die demokratischen Werte?

Die Plattform-Revolution schafft eine neue Öffentlichkeit

Besonders die Merkmale der Öffentlichkeit haben sich mit dem Internet gewandelt. Der Journalismus ist nicht mehr allein in der Gatekeeper-Rolle – er hat nicht mehr den exklusiven Zugang zur Informationsquelle und sortiert nicht mehr allein vorher die wichtigen (und richtigen) News aus. Das passive, disperse Massenpublikum wird zu einem aktiven. Es ist partizipativ und nutzt das Medium Internet nicht nur einseitig als Rezipient, sondern kommuniziert gleichzeitig selbst.

Das sind vor allem Folgen der Plattformen – wie Google, Facebook oder andere Social-Media-Kanäle – als neues Zwischenglied in der Kommunikation. Sie bieten einerseits eine kommunikative Spielfläche, aber andererseits beinhalten sie die Gefahr der Verhaltensbeobachtung und -steuerung durch Big Data und Algorithmen. Doch was heißt diese Entwicklung für eine demokratische Gesellschaft aus Sicht der Wissenschaft?

Welche Werte erwartet die Gesellschaft und was erhält sie?

Schlagwort für Schlagwort stellt Neuberger dem Publikum Studienergebnisse und Beispiele aus den Kommunikationswissenschaft vor, die verschiedene Schwerpunkte und Werte beleuchten: Sorgt das Internet für mehr Freiheit oder erleichtert es die Kontrolle durch Staaten und Unternehmen? Wie steht es um die Gleichheit? Mittlerweile haben in Deutschland zwar nahezu alle Alters- und Bildungsgruppen Zugang zum Internet, aber die Nutzung unterscheidet sich gerade, wenn es um politische Informationen und Nachrichten geht, erheblich. Das führt zu Nutzungs- und Wirkungsklüften auf der Rezipientenseite und um ungleiche Partizipation in der Kommunikation.

Von Fragen der Vielfalt zu Echokammern und Filterblasen

In Fragen der Vielfalt hat sich scheinbar mit dem Internet gar nicht so viel geändert: »Im Angebot der Themenvielfalt gibt es keine großen Unterschiede zwischen traditionellen Massenmedien und Internet in Deutschland. Die Mainstream-Medien bleiben eine Klammer«, so Neuberger. Was besonders daran liegt, dass im Internet die Webseiten der klassischen Nachrichtenmedien die Themenagenda weiterhin setzen. Ihre News werden auf den Plattformen geteilt, und sie beeinflussen weiterhin das Agendasetting des öffentlichen Diskurses.

Die Meinungsmacht verschiebt sich teilweise zu einer Machtballung bei den neuen Akteuren, die das Internet mit sich bringt – wie nicht-publizistische, politisch relevante Akteure, die die Plattformen nutzen. Auch wenn die Mainstream-Medien die Hauptnachrichtenquelle bleiben, können so »Echokammern« entstehen – einseitige politische Selektion und Vernetzung führen zu politischer Polarisierung, zu einseitiger Auswahl und Wahrnehmung.

Die vielzitierten Filterblasen, die durch Algorithmen personalisieren und besonders im Zusammenhang mit Facebook und Google in den Medien Erwähnung finden, sind laut dem Kommunikationswissenschaftler bisher empirisch kaum nachweisbar. Eine überzogene Angst? Aber ohne Zweifel gibt es in Fragen der Sicherheit Risiken, die vom Internet ausgehen: Besonders die Verletzlichkeit der Persön­lich­­keits­rechte sowie der Rechte im Daten- und Verbraucherschutz, aber auch Cyberkriminalität, Cyberwar sind hier zu nennen.

Bilanz zwischen optimistischen Erwartungen und pessimistischen Perspektiven

Geht es um die Informationsqualität, bietet das Internet nicht nur mehr Möglichkeiten sich zu informieren, sondern auch vielfältige Optionen zur Täuschung. Was zum Beispiel die Verbreitung von falsche Nachrichten (fake news) deutlich macht oder auch Beispiele aus den Kreisen der Verschwörungstheorien. Hier ist der Qualitätsverlust besonders auch auf den unbeschränkten Zugang zur Öffentlichkeit zurückzuführen. Auch wenn sich im Journalismus Instanzen in den Redaktionen oder eigene Organisationen wie mimikama oder PolitiFact gebildet haben, die sich die Prüfung von unsicheren Nachrichten zur Aufgabe machen.

In diesem Zusammenhang nimmt Neuberger zudem Bezug auf die Diskursqualität: Eine optimistische Sicht sieht bessere technische Möglichkeiten des Diskurses für alle durch Partizipation und Interaktion, Speicherung und Vernetzung der Beiträge. Dem entgegen steht die pessimistische Sicht, die eine Inkohärenz, Oberflächlichkeit und Verrohung der Diskurse (hate speech etc.) beobachtet. Es ist auf dieser Seite gar vom Zerfall der Öffentlichkeit die Rede.

Der Tellerrand-Referent zieht am Ende eine gemischte Bilanz und stellt als Basis zur Diskussion mit dem Publikum direkt Ansätze und Adressaten für Lösungen in den Raum: Vom Journalismus bis hin zur Wissenschaft: Wer kann Handlungsempfehlungen geben und möglicherweise regulieren im Sinne demokratischer Werte?

Zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«

Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referenten mit verschiedensten Themen. Jeder ist herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei.

Den Text verfasste Esther Packulat vom Fraunhofer ITWM.

Foto: Fraunhofer ITWM