Die Themen Simulation und Modellierung sind am Fraunhofer ITWM zu Hause. Im »Blick über den Tellerrand« im Januar mit dem Titel »Zukunftsszenarien Klimawandel« hat Prof. Dr. Thomas Hickler die Simulation von Klimamodellen zum Ausgangspunkt genommen, um sogar einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Referent Thomas Hickler, Biogeograph am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum sowie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, stellte wissenschaftlich fundierte Prognosen zur Erderwärmung und deren Folgen vor. Fokus legte er auch auf die Möglichkeiten, wie die Gesellschaft die negativen Auswirkungen des Klimawandels abwenden und das wirtschaftliche Potenzial der erneuerbaren Energiequellen nutzen kann.

Das Klimaschutzabkommen von Paris

Im Laufe der letzten 100 Jahre hat sich die Erde im globalen Durchschnitt um 1° C erwärmt. In Deutschland beträgt die Erwärmung sogar 1,5° C. Auf der Pariser Klimaschutzkonferenz im Jahr 2015 einigten sich die Vertragsstaaten in einem rechtsverbindlichen weltweiten Klimaschutzübereinkommen auf das Ziel, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2° C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Für Hickler istoffensichtlich, dass die Menschheit auf keinen Fall eine höhere Erwärmung der Erde riskieren sollte. Der Vergleich mit der Eiszeit verdeutlicht, welchen immensen Unterschied einige Grad Celsius bedeuten: Zu Zeiten als in unseren Breiten die Vegetation aus Tundra bestand und Mammuts lebten sowie der globale Meeresspiegel 120 m tiefer lag, herrschte eine Durchschnittstemperatur von lediglich 5 – 6° C niedriger als heute.

Erderwärmung führt zu unkontrollierbaren Prozessen

Klimamodelle belegen, dass die Erderwärmung der letzten Jahrzehnte vor allem auf einen durch den Menschen verursachten Ausstoß an Treibhausgasen wie CO2 zurückgeht. Unsere Ökosysteme liefern uns bei der Reduzierung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre einen wertvollen Service: Sie nehmen jährlich bis zu 50 Prozent unserer CO2-Emissionen auf. Die steigende Erderwärmung beeinträchtigen jedoch das Funktionieren dieses wichtigen Dienstes. Denn die mit dem Klimawandel zunehmenden Brände und Trockenperiode, vor allem in Kombination mit Klimaphänomenen wie El Niño, führen zukünftig dazu, dass die Landökosysteme deutlich weniger CO2 aufnehmen können. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wird somit noch weiter steigen.

»Wir sollten auf keinen Fall schlafende Bären wecken«, plädiert Hickler in seinem Vortrag. Noch könnten wir auf den Klimawandel und seine Folgen reagieren, aber mit einer weiteren deutlichen Erderwärmung riskierten wir, dass schwer abzuschätzende und unkontrollierbare Rückkopplungsprozesse entstünden, die wir nicht mehr aufhalten könnten.

Folge und Motor des Klimawandels: Eisschmelze an Nord- und Südpol

Die Erderwärmung betrifft auch das Eis an Nord- und Südpol. Das Schmelzen des Eises in Grönland und der Antarktis allein trage zu 50 Prozent zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Prognosen besagen, dass der Meeresspiegel über die nächsten 100 Jahre ca. ein bis eineinhalb Meter ansteigt. Dies werde global nicht gleichmäßig passieren. Für die Menschen in Bangladesch bedeute dies beispielsweise, dass 40 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Wenn es nicht gelinge zu verhindern, dass das gesamte Eis in Grönland schmelze, werde der Meeresspiegel um fünf Meter ansteigen, so Hickler. Das Schmelzen des Eises setze darüber hinaus einen Kreislauf in Gang: Eis reflektiert die Sonnenstrahlung. Schmilzt es, wird die Sonnenstrahlung nicht mehr reflektiert, die Erderwärmung steigt weiter.

Klimawandelfolgen reichen von Luxusproblemen bis hin existentiellen Bedrohungen

Die Konsequenzen des Klimawandels auf den Menschen sind vielfältig. Als ein Beispiel für ökonomische Schäden durch den Klimawandel in Deutschland beschreibt Hickler den Wald. So drohe der Forstwirtschaft ein Schaden von geschätzten 100 Milliarden Euro. Insbesondere die lange Trockenperiode im Sommer 2018 habe die deutschen Wälder stark beeinträchtigt. Derzeit seien 2 Prozent des deutschen Waldes vom Waldsterben betroffen. Durch das Überangebot an Holz sinken die Preise, ein Verlust für die Forstwirtschaft. Mehrere trockene Sommer hintereinander würden zu einem deutlichen Problem für die Wälder und somit für die Forstwirtschaft führen.

Trotz dieser hohen zu erwartenden Schäden bezeichnet Hickler die Verluste der Forstwirtschaft als ein »Luxusproblem«. Die Auswirkungen des Klimawandels zum Beispiel in Indien seien dagegen existentiell: Dort werde mit Temperaturen von deutlich über 40° C gerechnet, die für Menschen tödlich sein können, die der Arbeit auf ihren Feldern nachgehen müssen. Ein stark beforschtes und viel diskutiertes Thema ist auch der Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und bewaffneten Konflikten in allen Teilen der Erde. So sei davon auszugehen, dass der Konflikt in Syrien durch eine vorangegangene Trockenheit befeuert wurde. Die langanhaltende Dürre habe zu Hunger und Landflucht geführt. Die daraus resultierende große Unzufriedenheit in der Bevölkerung sei ein Nährboden für einen Konflikt gewesen.

Ein Umdenken in der globalen Landwirtschaft ist notwendig

Eine Maßnahme, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, sei laut Hickler ein Umdenken in der globalen Flächennutzung. So müsse zum Beispiel die weltweite Nahrungsmittelproduktion umgestaltet werden. »Dann könnten auch 10 Milliarden Menschen auf eine nachhaltige Art und Weise ernährt werden«, so Hickler. Ein entscheidender Faktor sei die Fleischproduktion: Derzeit werde zum Beispiel mehr als die Hälfte des weltweit angebauten Weizens als Futtermittel verwendet. Einen großen Fehler sieht Hickler auch in der Produktion von Biokraftstoff. Allein in Südost-Asien werde auf ca. 6 Millionen Hektar Palmöl angebaut. Gerade im Bereich der Landwirtschaft sieht Hickler ein großes Potential für die Forschung. Innovationskraft könne zum Steigen der Erträge führen, ohne dass weitere Flächen gerodet oder die Böden geschädigt werden müssen.

Entscheidend: der politische Wille

An Möglichkeiten den Klimawandel einzuschränken mangele es laut Hickler nicht: »Wir haben unbegrenzte Möglichkeiten«. Es gäbe beispielsweise keine technologischen oder ökonomischen Hindernisse, die die Gesellschaft davon abhielten auf 100 Prozent erneuerbare Energiequellen umzusteigen. Derzeit scheitere es lediglich am politischen Willen. Auch das World Economic Forum bezeichne die Untätigkeit der Politik als ein großes Risiko. So könnten mit einem Umstieg auf erneuerbare Energien laut Angaben des World Economic Forum bis 2030 26.000 Milliarden Dollar gespart werden. Global werde jetzt schon doppelt so viel in erneuerbare als in fossile Energien investiert. Der wirtschaftliche Schaden der Subventionen in fossile Brennstoffe werde zudem deutlich, wenn man die weltweiten 345 Milliarden Dollar an Subventionen den geschätzten 5.000 Milliarden Dollar Schäden durch den Klimawandel gegenüberstellt.

Auch über Energiethemen hinaus sieht Hickler die Politik in der Verantwortung Maßnahmen zu treffen, um den Schaden des Klimawandels abzuwenden. So sei es an der Politik zu reagieren, wenn Fleisch aus Intensivhaltung billiger sei als regionales Obst und Gemüse.

Was der Einzelne beitragen kann

Neben der Politik fordert Hickler auch jeden Einzelnen auf einen Beitrag zu leisten: Mit Flugreisen maßvoll umgehen, weniger Fleisch verzehren, mehr saisonale und regionale Lebensmittel kaufen, weniger Auto fahren und den Konsum einschränken. Auch unsere Einstellung zu den Anpassungen an den Klimawandel sei wichtig. So seien die Veränderungen nicht zwingend als Einschränkungen, sondern als Potential zu sehen. Schließlich spricht er auch die Forschung an: Mehr inter- und transdisziplinäre Forschung zum Klimawandel, seinen Folgen und den gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten sei ein wichtiger Baustein, um aus den Risiken des Klimawandels Chancen werden zu lassen.

Den Text verfasste Swenja Broschart vom Fraunhofer ITWM 

Foto: Prof. Thomas Hickler © ITWM

Zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«

Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referentinnen und Referenten mit verschiedensten Themen. Alle sind herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei.  Mehr unter: www.felix-klein-zentrum.de/veranstaltungen