Der »Blick über den Tellerrand« im Februar stand unter der Überschrift »Zur Entwicklung sehender Automobile: Autonomes Fahren – Vor 30 Jahren in Deutschland mitentwickelt«. Prof. em. Dr.-Ing. Ernst D. Dickmanns berichtete über die Forschung- und Entwicklungshistorie und seine Zeit als forschender Systemdynamiker in diesem Bereich.
Die Welt betitelte ihn 2016 als den »Mann, der dem Auto das Sehen beibrachte«. Denn autonome Fahrzeuge sind keine Entwicklung des 21. Jahrhunderts, bereits Mitte der achtziger Jahre ist seine Pionierleistung und der 4D-Ansatz zum maschinellen Sehen und zum sehenden Automobil zu verorten. Daimler-Benz und die Universität der Bundeswehr experimentierten schon ab Ende der Achtziger mit Autopiloten. Federführend war die Forschergruppe rund um Dickmanns. Im Vortrag gibt der studierte Luft- und Raumfahrttechniker Anekdoten und Geschichten dieser Zeiten zum Besten.
Technik aus Deutschland revolutionierte früh autonomes Fahren
Er entwickelte ein »Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität und Rechnersehen« (kurz: VaMoRs). Die technischen Möglichkeiten für die Forschenden in punkto Hardware unterschieden sich deutlich von heutigen. Die Herangehensweise war eine andere, denn die Rechner waren so groß, dass sie zunächst gar nicht ins Fahrzeug passten und auch die Kameras sind mit heutigen nicht zu vergleichen. Gearbeitet wurde mit Schwarzweiß-Material und Kantenerkennung. Heute stehen nicht nur Farbbilder und Flächenerkennung zur Verfügung, sondern es gab zu Dickmanns Zeiten auch noch kein satellitengestütztes Navigationssystem, das eine Vorausfestlegung der Route ermöglichte.
Dickmanns erzählt u.a. von einem Projekt von 1997 bis 2001 mit der US-Army, an dessen Ende auf einem Netzwerk unterschiedlicher Straßen und sogar querfeldein mit einem Graben als unbekanntem Hindernis gefahren werden konnte. Daraufhin nahm sich ein US-Senatsbeschluss 2001 ehrgeizig vor: »Bis 2015 soll ein Drittel der Army-Fahrzeuge ‚autonome Fahrfähigkeiten‘ haben!«. Dazu wurden die DARPA-Wettbewerbe ins Leben berufen: Unbemannte Fahrzeuge wurden entlang GPS-Wegpunkten [an einer (virtuellen) GPS-Leine] durch die Wüste bzw. Stadt gezogen und müssen aus der Fahrebene herausragende Hindernisse vermeiden. Den Gewinnern winkten hohe Preisgelder.
Blick in die Zukunft und in die Unfallstatistik
Dennoch, die weltweite Entwicklung brachte bis 2013 nicht viele Innovationen im Bereich sehender Fahrzeuge, auch wenn viele Akteure mitmischten. In den Industrie-Entwicklungen dominieren Radar und Laser-basierte Systeme zur Abstandsmessung und Hindernisvermeidung. Ausnahmen bildeten ein Stereosehen von Daimler und das Sehsystem EyeQX (X von 1 bis 5) von Mobileye, einem israelischen Unternehmen, das mit »System-on-a-chip« miniaturisierte Elektronik-Hardware herstellt und behauptet weltweit über verschiedene Zulieferer ~40 Mio. Fahrzeuge mit einem ihrer Systeme ausgestattet zu haben. 2017 werden sie von Intel für über 15 Mrd. Euro aufgekauft.
In seinem Vortrag skizziert Dickmanns nicht nur die weltweite Entwicklung, sondern blickt auch in die Zukunft. »Das 21. Jahrhundert wird die sehenden kognitiven Fahrzeuge aller Art in den Fokus setzen und diese mit den verschiedensten intelligenten Fähigkeiten zu angepassten Verhaltensweisen ausstatten – und das alles natürlich zum Wohle des Menschen«, resümiert der Referent. Nahm man früher auch keine blinden Tiere als Zugtiere, so werden in fernerer Zukunft auch keine blinden Fahrzeuge mit sehenden kognitiven Fahrzeugen konkurrieren können.« Dabei gilt es die richtigen Fragen in der Forschung zu stellen.
Auch wenn die Systeme in absehbarer Zeit keinesfalls fehlerfrei sind – bis Fahrzeugaugen multifokal funktionieren, dauere es bestimmt noch 20 bis 30 Jahre, so Dickmanns – einen Vorteil im autonomen Fahren prognostiziert er deutlich: »Mit autonomen Fahrzeugen kann man die Unfall- und Todesrate stark reduzieren«. Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland ist mit 3059 jetzt schon auf historischen Tiefstand. Der Höchststand in den siebziger Jahren lag in der BRD bei 21.332 Toten. Für diese Entwicklung waren neben Straßengestaltung, Verkehrserziehung und -regulierung (Vorfahrtsregungen etc.) auch Dreipunktgurte und Anschnallpflicht von Bedeutung. Weltweit sehen die Zahlen anders aus; die WHO berichtet 2010 noch von 1,24 Mio Toten, darunter 25 Prozent Kinder.
Der Mensch hat das letzte Wort
Auch die philosophischen und ethischen Aspekte der Forschung sind einzubeziehen, davon ist der Tellerrand-Referent überzeugt. Im Austausch mit Philosophieprofessoren wie die von Prof. Dr. Thomas Metzinger diskutiert Dickmanns deshalb Fragen wie »Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz: Autonome Fahrzeuge als eigene, lernfähige Individuen?«. Dass der Mensch immer die letzte Entscheidungsinstanz sein muss, scheint Konsens.
Diekmanns selbst hat sich 2001 aus Lehre und 2004 aus der UniBwM-Forschung zurückgezogen, aber hält noch Vorträge wie den Tellerrand und diskutiert mit. Heute forscht sein ehemaliger Promovend Prof. Hans-Joachim Wünsche auf diesem Gebiet »Technik Autonomer Systeme« (TAS).
Foto: Prof. em. Dr.-Ing. Ernst D. Dickmanns © ITWM
Zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«
Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referentinnen und Referenten mit verschiedensten Themen. Alle sind herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei. Mehr unter: www.felix-klein-zentrum.de/veranstaltungen